Dienstag, 12. Juli 2011

Im Molekular-Restaurant

Über die französische Internetseite http://www.lafourchette.com/ werde ich auf der Suche nach interessanten Ideen auf ein Pariser Molekular-Restaurant aufmerksam, das sich zu meiner großen Überraschung seit fast einem Jahr in einer Parallelstraße zu meiner Wohnung befindet - einer Straße, die ich normalerweise kaum beachte, weil dort schlichtweg nichts los ist.
Wie ich im Internet herausfinde, ist es in der Molekular-Küche üblich, zahlreiche Gänge zu reichen, bei denen die Portionen gleichzeitig relativ klein sind. Dabei deutet die Präsentation der Zutaten nicht immer auf ihre wirkliche Herkunft hin, es kann durchaus passieren, dass man erst durch Probieren herausfindet, um was es sich eigentlich handelt. Da ich mich gerne überraschen lasse, wird dies sicher eine tolle Erfahrung.

Für meinen ersten Besuch in einem Restaurant dieser Art reserviere ich unter der Woche, wobei mir sogar ein besonderer Preis versprochen wird. (Es scheint, dass Molekular-Restaurants aufgrund der intensiven Herstellungsweise selten profitabel sind.)
Zu meiner Überraschung bin ich um diese Zeit - 12 Uhr - der einzige Gast, Zeichen dafür, dass auch andere diese Nebenstraße nicht kennen; wie in vielen Restaurants ist auch hier die Hauptessenszeit der Abend, schließlich sind wir hier ja auch in Frankreich.

Somit hat die Bedienung umso mehr Zeit für mich. Wunderbar.
Als ‚Amuse-gueule’ wird eine ‚Chantilly d’olive noir avec une feuille de ‚dycon’ (radi blanc japonais)’ (Schwarze Oliven-Schlagsahne mit Dyconblatt (eine Art japanischer weißer Rettich) gereicht, was ein unerwarteter Einstieg ist. Die Sahne hat eine angenehme cremige Konsistenz und einen kräftigen, wenn auch nicht zu starken Geschmack nach Oliven.

Als ‚Amuse-gueule’ schwarze Oliven-Sahne mit Dyconblatt


Für die Vorspeise lässt man mich zwischen dem Thema ‚Zitrone’ und ‚Tomate-Mozzarella’ wählen. Eigentlich will ich ja etwas Neues ausprobieren, wobei sich ‚Tomate-Mozzarella’ eher langweilig anhört, schließlich kennen wir das ja. Aber was macht die zweite Möglichkeit ‚Zitrone’ in einer Vorspeise? Also ‚Tomate-Mozzarella’. Ich bin gespannt.
Das Ergebnis stellt sich als optischer Leckerbissen mit verschiedenen Tomatensorten in unterschiedlichen Größe und Farben heraus (rot, gelb, grün, klein, groß) sowie Mozzarella-Bällchen (wie wir sie eigentlich kennen), wobei der geniale Koch in künstlerischer Manier einen Balsamico-Streifen diagonal platziert hat, der zusammen mit einer Art Sojasauce, die sich erstaunlich gut dazu macht und das optische Bild zusätzlich ausgestaltet, und ein paar farblich ansprechenden Salatblättern, die von Natur aus eine malerische Grundstruktur haben, komplettiert.
Kulinarischer Höhepunkt dieses Ganges ist das ‚Gelée de Concombre’ (Gurkengelee) (!), das ich ganz vorsichtig probiere und was erstaunlich gut ist. (Und dies zu einem Zeitpunkt, als der EHEC-Erreger noch in jedermans Erinnerung ist. Davon lasse ich mich als Amateur der Molekularküche aber nicht abhalten.) Eigentlich ist es das einzige Element dieses Ganges, das auf mich typisch wirkt - völlig unabhängig davon, wie lecker der Rest schmeckt. DAS ist wirklich Molekularküche.

Vorspeise: Tomaten-Mozzarella-Variation mit Gurken-Gelee

Das Gurkengelee sieht genauso aus, wie man es sich vorstellen könnte: ein helles Grün, das von ähnlich geleeartiger Konsistenz ist wie Marmelade, das ich vorsichtig Millimeter für Millimeter auf meine Gabel schiebe und zuerst zurückhaltend teste - ich muss zugeben, dass ich bei solchen Experimenten dann doch manchmal etwas skeptisch bin, auch wenn ich mich gerne überraschen lasse,  und manches einfach liegenlasse, aber dieses Gelee ist wirklich gelungen.


Bei der Hauptspeise darf ich zwischen ‚Lamm’ und ‚Thunfisch’ wählen. Da ich lieber Fisch mag, ist die Entscheidung rasch gefallen - obwohl sich auch hier auf den ersten Blick Thunfisch nicht besonders spannend anhört. Aber dennoch kann man erneut von einer überzeugenden Darbietung sprechen: die Bedienung stellt mir freundlich lächelnd und dabei weitere Erklärungen über diesen Gang gebend, einen ebenso schön dekorierten Teller mit (japanischem) Bonito-Thunfisch auf meine elegante Schiefertafel-Unterlage, wobei ich leider anmerken muss, dass das Stück wirklich recht klein ist. Das künstlerische Bild auf meinem Teller wird jedoch durch wilden Spinat und eine Butter-Zitrusfrüchtesauce abgerundet, die sich mit den ‚Fèves’ (’Saubohnen’, die wesentlich schöner aussehen als sie sich anhören) zu einem optischen Meisterwerk ergänzen. Geschmacklich harmonisiert  die Butter-Zitrusfrüchtesauce hervorragend mit dem Gemüse, auch dieser Gang ist gelungen.

Hauptspeise: Bonito-Thunfisch mit wildem Spinat und Butter-Zitrussauce

Auch beim Dessert habe ich die Wahl, doch die Entscheidung ‚Schokolade’ anstelle von ‚Zitrone’ fällt sofort und ohne großes Überlegen.
Das Ergebnis ist ein Gang, der sich im Französischen unglaublich schön anhört:
Fondant au chocolat lacté avec nougatine à la pistache, de l’éphémère à la pistache avec des capucines et des pouces de miel, coulis de mangue

(etwas schwierig zu übersetzen, ‚Fondant au chocolat lacté’ entspricht einem sehr sehr eleganten Pudding, der sehr stark schokoladenhaltig ist; ‚nougatine à la pistache’ ist ein knuspriges, ansprechendes Stück ‚Nougat mit Pistazien’, wohingegen ‚de l’éphémère à la pistache avec des capucines et des pouces de miel’ auf die ‚Vergänglichkeit der Pistazie’ hindeutet, in der Molekularküche hergestellter ‚Pistazienstaub’ mit (essbaren) Kapuzinerblüten, darüber hinaus Mangocoulis). 

Dessert: Fondant au chocolat lacté mit Nougatine und ’éphémère à la pistache’

Das absolut Überraschendste an dem kompletten Menü ist sicherlich das ‚Ephémère à la pistache avec des pouces de miel’. Optisch sind die pistaziengrünen Teilchen hübsch anzusehen, bevor sie ihr geschmackliches Geheimnis preisgeben, doch wer hätte gedacht, dass mein Gehirn für einen Augenblick aussetzen könnte angesichts der Überraschung, die dieses Geschmackserlebnis mit sich bringt: Kaum an meinem Gaumen angelangt, schmilzt der Pistazienstaub - denn genau darum handelt es sich - bereits dahin! Das habe ich ja noch nie erlebt! Und genau das ist es, warum ich hierher gekommen bin - um mich überraschen zu lassen, mit geschmacklichen Leckereien dieser Art, die mich immer wieder aufs Neue beeindrucken. Dabei ist der Pistazienstaub durchaus geschmackvoll und enthält eine leichte Süße; er erinnert mich zwar auch ein ganz klein wenig an Grüner-Tee-Pulver – natürlich eher optisch als geschmacklich, obwohl die Pistaziennote natürlich vorherrscht und man die beiden sicherlich nicht vergleichen kann.
Das ist Molekularküche von ihrer besten Seite.

Ich bin an diesem Tag nicht sehr hungrig und mit diesen drei Gängen durchaus gesättigt; allerdings sehe ich diesen Besuch eher als Einstieg in die Molekularküche, als was er auch preislich gesehen angesehen werden kann; mit normalem Hunger würde man vermutlich fünf bis sechs Gänge bestellen. Der Aufwand der üblichen Herstellung hat nun mal seinen Preis. Auf jeden Fall ist diese kulinarische Erfahrung ein voller Erfolg, die ich in wirklicher Überzeugung empfehlen kann.

(Es handelt sich bei diesem Restaurant um das ‚esens’all’, rue Dulong, 17. Arrondissement Paris; Di-Fr Mittag 22 EUR über http://www.lafourchette.com/ , zu  anderen Zeiten teurer)